Zeit der Wandlung
- susannawacha
- 22. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Juni

Die Zeit der Lebensmitte ist eine Zeit der Wandlung - Verwandlung
Verwandlung ist immer eine Herausforderung. Daher gibt es nach Johannes Tauler – dem deutschen Mystiker, der schon im 14. Jahrhundert manche Ansichten von C.G. Jung vorweggenommen hat – drei Fluchttendenzen.
Drei Fluchttendenzen
Die erste: Statt mich zu verwandeln, möchte ich die anderen ändern, die Umgebung, die Gesellschaft. Denn sie sind schuld, dass ich in eine Krise geraten bin.
Die zweite Fluchttendenz: Ich ändere ständig äußere Dinge und meine, dadurch könnte ich mich verwandeln. Heute würden wir sagen: meine Verhaltensweisen, meine Ernährungsmethode, meine sportlichen Methoden, meine psychologischen Programme.
Die Erfahrung zeigt jedoch, dass ich trotzdem immer der gleiche bleibe.
Denn das, was ich an mir ändern will, lehne ich ja ab. Und was ich an mir ablehne, bleibt an mir hängen.
Die dritte Fluchttendenz: Ich schließe jeden Wandel aus. Ich will so bleiben, wie ich bin. Das führt dann oft zu einem starren Konservativismus. Ich halte fest an den alten Einstellungen zum Leben, an alten Ritualen, an der alten Lebensform. Ich bewege mich nicht. Doch das führt zur inneren Erstarrung.
Voraussetzung innerer Verwandlung
Statt in die Flucht zu gehen, stellen wir uns in der Lebensmitte der eigenen inneren Verwandlung. Und diese hat nach Johannes Tauler drei Voraussetzungen.
Erstens: die ehrliche Selbsterkenntnis. Solange wir uns nicht selber ehrlich erkennen, projizieren wir unsere Probleme immer nur auf andere. Selbsterkenntnis ist schmerzlich. Daher sagt Tauler, dass manche richtige Bärenhäute um die eigene Seele gelegt haben, damit nichts in sie eindringen und sie verunsichern könnte.
Die zweite Voraussetzung ist Gelassenheit. Es braucht Mut, alte Verhaltensweisen loszulassen. Manchmal geht es auch darum, Beziehungen, die sich überlebt haben, loszulassen, oder auch den Beruf, mit dem man sich identifiziert hat, loszulassen.
Doch bevor man zu schnell von einem Beruf zum anderen wechselt, sollte man erst einmal die eigene oft festgefahrene Einstellung zum Beruf und zum Leben loslassen. Dann kann sich auch im Beruf etwas wandeln.
Die dritte Voraussetzung ist – religiös ausgedrückt – die Gottesgeburt im Menschen.
Wenn man diesen mystischen Ausdruck psychologisch beschreiben möchte, könnte man von Selbstwerdung sprechen. Es geht darum, vom Ego zum Selbst, in mir zu gelangen. Das Selbst beinhaltet nach C.G. Jung nicht nur das Bewusste und Unbewusste, sondern auch das Bild Gottes, das sich in mich einbildet. Die Beziehung dazu ist für C.G. Jung die Voraussetzung, eine Beziehung zum eigenen wahren Selbst aufzubauen.
Religio(n) - Zurück zum Ursprung
Das Wort "Religio /(n)" stammt aus dem Lateinischen und hat eine schöne, vielschichtige Ursprungsgeschichte.
Rückbindung – an etwas Höheres, Ursprüngliches, an den Ursprung selbst.Das lateinische Verb, das häufig als Wurzel gesehen wird, ist:
re-ligare = „zurückbinden“ (re = zurück, ligare = binden)
Im ursprünglichen Sinn meinte religio also nicht eine bestimmte Religion oder ein Glaubenssystem, sondern eher eine innere Haltung der Verbundenheit – mit dem Leben, der Ordnung der Welt, oder auch mit dem, was größer ist als das Ich.
Auseinandersetzung mit dem Tod
Und für C.G.Jung gehört zum Prozess der Verwandlung in der Lebensmitte, dass man sich mit dem Schwächer werden und schließlich mit dem Tod auseinandersetzt. C.G.Jung meint, ab der Lebensmitte bleibe nur der lebendig, der zu sterben bereit ist. Das entspricht der zweiten Voraussetzung für die Verwandlung, die Tauler beschrieben hat. Sich mit dem Sterben auseinandersetzen, bedeutet, alles Bisherige loszulassen, den Erfolg, die Rolle, die Kraft, das Leben loszulassen. C.G. Jung meint: Ungelebtes Leben kann man nur sehr schlecht loslassen.
Menschen, die das Gefühl haben, noch nie wirklich gelebt zu haben, klammern sich an das Leben wie an einen Strohhalm. Aber es wird dadurch nicht lebendiger, sondern krampfhafter und enger.
So ist die Lebensmitte eine Chance, den Weg nach innen zu gehen und auf diese Weise gelassener, weiser, milder und weiser zu werden.
Wir sollten keine Angst haben, wenn wir in der Lebensmitte in eine Krise geraten. Denn sie möchte alte Sicherheiten in uns zerbrechen, um uns aufzubrechen für das Neue und Authentische, das in uns wachsen möchte.
Text von Anselm Grün
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